Tourismus

Die Tourismusbranche war in Berlin in den vergangenen Jahren der Hauptmotor für wirtschaftliches Wachstum und sie hat am Boom Berlins wesentlichen Anteil. Und es ist kein Ende des Wachstums in Sicht. Mit 30,3 Millionen Übernachtungen und 12,4 Millionen Gästen markierte das Jahr 2015 einen neuen Höchststand – seit 2000 hat sich die Zahl der Übernachtungen mehr als verdreifacht. Nicht nur die Einnahmen aus der „City Tax“ sprudeln stärker als geplant.

Zugleich hat das Wachstum des Tourismussektors zahlreiche negative Folgen. Der Tourismus verändert ganze Straßenzüge und Kieze, es entstehen lokale Ökonomien, die fast nur noch auf die Bedürfnisse von Tourist*innen zugeschnitten sind. Hotels und Hostels schießen wie Pilze aus dem Boden. Anwohner*innen sind von nächtlichem Lärm in den touristischen Hot Spots genervt. Trotz des Verbots der Zweckentfremdung von Wohnraum gibt es unzählige Ferienwohnungen. Daneben entzünden sich am zunehmenden Tourismus zahlreiche Konflikte im Alltag: In Kreuzberg diskutieren Menschen über den Schutz der Privatsphäre, wenn Reiseführer in die Hinterhöfe einladen. Verkehrsprobleme bereiten vor allem in den Innenstadtbezirken nicht nur immer mehr Reise- und Stadtrundfahrtbusse, sondern auch diverse „Spaßmobile“.

Vom Wachstumsmodell Tourismus profitieren längst nicht alle Berliner*innen, vielmehr verschärft es räumliche und soziale Ungleichheit: Vom Tourismus leben in Berlin immer mehr Menschen, die meisten davon mehr schlecht als recht. Prekäre Beschäftigung ist bei der Zimmerreinigung oder bei Kleinunternehmen, z.B. bei Stadtführer*innen, weit verbreitet und das Gastgewerbe zählt nach wie vor zu den wirtschaftlichen Sektoren mit den niedrigsten Löhnen und schlechtesten Arbeitsbedingungen. Doch auch die zunehmende Anzahl von Menschen, die ihre Privatwohnungen über AirBnB vermieten, um steigende Lebenshaltungskosten und niedrige Einkommen auszugleichen, ist Ausdruck und Folgeerscheinung wachsender Prekarisierung. Gleichzeitig befeuern solche Geschäftsmodelle die renditegetriebene Umnutzung und Zweckentfremdung von Wohnraum, an dem es ohnehin mangelt. Mieter*innen, die sich die horrenden Mieten in touristifizierten Kiezen nicht mehr leisten können, werden an den Stadtrand verdrängt. Auch ökologisch entwickelt sich der Tourismus für Berlin zu einem echten Problem: Die negativen Begleiterscheinungen des Flugverkehrs wie Lärm und Luftverschmutzung bekommen vor allem Menschen zu spüren, die im Umfeld der Flughäfen Tegel und Schönefeld wohnen. Ein Ende des Wachstums scheint derzeit nicht in Sicht.

Der Boom des Tourismus in Berlin ist eben nicht einfach „Standortfaktor“, sondern ein enormer kapitalistischer Wachstumsschub mit zerstörerischen Begleiterscheinungen. Für mich ist das Thema Tourismus klarer Bestandteil von Stadtentwicklungspolitik. Denn eins ist klar: Das Wachstum im Tourismussektor kann sich nicht unbegrenzt fortsetzen, wenn der Metropole an einer Stadt und einem guten Leben für Alle gelegen ist. Anstatt steigende Zahlen von Übernachtungen und Fluggästen zu feiern, muss die politische Diskussion um Stadttourismus nicht nur die Tourist*innen, sondern auch die Bewohner*innen dieser Stadt mit ihren Bedürfnissen berücksichtigen. Das heißt nicht, „Akzeptanz“ für den Status quo herzustellen, sondern die Art und Weise, wie Stadttourismus in Berlin bislang stattfindet, grundlegend zu überdenken und mit den Berliner*innen zu diskutieren. Eine neue Tourismuspolitik, die nicht mehr das Thema wahlweise ignoriert oder Lobbyisten überlässt, ist dringend notwendig!